Diese Heldin hat 150 Mädchen vor Genitalverstümmelung gerettet

21. November 2019

Florence Lomariwos lebenslanger Kampf gegen weibliche Genitalverstümmelung, kurz FGM (englisch: female genital mutilation) begann mit ihrer eigenen Flucht.

Ihr Vater hatte neun Frauen und insgesamt 77 Kinder. Florences Mutter, seine neunte Frau, hatte sechs Kinder. Sie war oft nicht in der Lage, für das Nötigste wie Nahrung und Kleidung zu sorgen, geschweige denn an Bildung zu denken.

Tatsächlich war Florence die einzige von 38 Mädchen in der Familie ihres Vaters, die eine Ausbildung machen konnte.

 

"Mein Vater glaubte nicht, dass Bildung für Mädchen notwendig sei", sagt Florence. "Ich musste mich heimlich zur Schule schleichen und unbemerkt zurückkehren. Eines Tages vergass ich, meine Schuluniform auszuziehen, und mein Vater sah mich. Er war wütend und schlug mich, weil ich der Familie Schande gebracht hatte."

 

Erst nach dem Tod ihres Vaters begann Florence die Schule nicht mehr im Geheimen zu besuchen - sehr zum Missfallen ihrer älteren Brüder und der gesamte Nachbarschaft. Nur ihre Mutter unterstützte ihre Bemühungen

Als sie 9 Jahre alt wurde, plante Florences Familie die „Beschneidungs“- respektive die Verstümmelungs-Zeremonie. Dieses brutale Ritual beinhaltet das teilweise oder vollständige Abschneiden der äußeren Genitalien eines Mädchens. In Kenia wurde es 2011 verboten. Laut der jüngsten kenianischen Bevölkerungs- und Gesundheitsstudie von 2014 ist die Rate der Genitalverstümmelung rückläufig (von 27% im Jahr 2008 auf 21% im Jahr 2014). Aber das sind immer noch viel zu viele betroffene Mädchen.

Das Problem der weiblichen Genitalverstümmelung geht Hand in Hand mit einem weiteren häufigen Problem in Kenia - der Kinderheirat.

Das kulturelle Ritual der FMG ist der Übergang von der Kindheit zum Frausein und signalisiert traditionell die Bereitschaft eines Mädchens zur Ehe. Landesweit werden etwa 26% der Mädchen vor dem 18. Lebensjahr verheiratet, 6% bereits bis zum 15. Lebensjahr. Auch Florence erfuhr, dass sie nach ihrer Genitalverstümmelung verheiratet werden würde.

"Ein alter Mann aus einem benachbarten Dorf hatte sich an meine Familie gewandt, um eine Ehe mit mir zu arrangieren", sagt Florence. "Ich wäre seine vierte Frau gewesen."

Damals war Florence in der dritten Klasse. Ihr ältester Bruder, heute Familienoberhaupt, hatte bereits die Hälfte des üblichen "Brautpreises" des Mannes angenommen, zu dem Kamele, Kühe und Ziegen gehörten. Nach der Tradition sollte sie nach dem rituellen Schnitt Eigentum des alten Mannes werden.

In ihrer Verzweiflung lief Florence von zuhause weg.

"Ich wollte nicht so früh heiraten, weil es meine Träume zerstört hätte", sagt Florence. "Ich bin von zu Hause weggelaufen und habe bei Freunden und Lehrern gelebt, die mich in meinem Wunsch unterstützten, meine Ausbildung abzuschließen und etwas aus mir zu machen."

Ihre Entschlossenheit hat sich ausgezahlt. Nach dem Schulabschluss begann Florence eine Ausbildung zur Lehrerin und schloss diese später erfolgreich ab. Dann heiratete sie, und zwar einen Mann ihrer eigenen Wahl - ein Privileg, das nur wenige Frauen ihres Alters kannten. Nun war Florence in der Lage, selber etwas zu bewirken für das, was ihr ein grosses Anliegen geworden war.

Heute leitet Florence ein Schul- und Nothilfezentrum für Mädchen, die vor Genitalverstümmelung und Kinderheirat geflohen sind.

 

 

Die Grundschule in der Stadt Chemolingot in Kenia ist keine gewöhnliche Schule. Sie ist nicht nur ein Ausbildungsort für einheimische Kinder, sondern auch ein Nothilfezentrum für Mädchen, die vor Genitalverstümmelung und Kinderehe gerettet wurden. Bedrohte Mädchen fliehen in die Schule, weil sie dort sicher sind. Andere junge Mädchen, die die Verstümmelung bereits erlebt haben, laufen manchmal von ihren "Ehemännern" weg in die Schule, um sich in Sicherheit zu bringen. Jungen, die Opfer von Kinderarbeit und Gewalt sind, suchen ebenfalls Zuflucht im Zentrum.

Florence hat dazu beigetragen, das Zentrum in ein Internat zu verwandeln und sorgt für genügend Unterstützung, damit diese gefährdeten Kinder einen Ort haben, wo sie bleiben können.

Heute beherbergt die Chemolingot Primary School durch Florences Engagement und ihre harte Arbeit mehr als 150 junge Mädchen, die vor FGM und Kinderheirat gerettet wurden. Von den Mädchen, die ehemals in der Grundschule Zuflucht gefunden haben, besuchen derzeit elf öffentliche Universitäten und Hochschulen und 49 besuchen verschiedene Gymnasien im ganzen Land.

Aber das Engagement von Florence ist nicht ungefährlich.

 

 

Einige Männer aus der Gemeinschaft wollen nicht, dass sich an den Traditionen etwas ändert.

Vor kurzem konfrontierte eine wütende Gruppe von Männern Florence mit Rohrstöcken. Sie waren gekommen, um die von ihrer Familie versprochene Frau für ein Mitglied der Gruppe in Anspruch zu nehmen. Sie war ein 14-jähriges Mädchen, das an der Schule Schutz gesucht hatte. Die Männer beschuldigten Florence, ihre Kultur zu untergraben, und drohten, ihr eine Lektion zu erteilen. Glücklicherweise beschützten sie die anderen Lehrer, und die Polizei kam rechtzeitig, um einen Gewaltausbruch zu verhindern.

Trotz der Gefahr kämpft Florence weiter.

Florence hilft jetzt noch mehr Kindern Schutz und Zuflucht zu finden.

 

 

Im Jahr 2016 eröffnete Florences Kirche in Partnerschaft mit Compassion ein Kinderentwicklungszentrum. Florence wurde Vorsitzende des Komitees, welches das Zentrum leitet. Jetzt sind 252 Kinder im Patenschaftsprogramm.

Im Zentrum lehrt Florence den Kindern, welche Rechte sie haben. Außerdem sorgt sie dafür, dass die Eltern über die Gefahren von weiblicher Genitalverstümmelung aufgeklärt werden.

"Wir haben eine Null-Toleranz gegen Kindesmissbrauch, und wir haben allen Betreuenden und Eltern unserer Kinder klar mitgeteilt, dass Massnahmen gegen jeden ergriffen werden, der die Rechte eines Kindes missachtet", sagt Florence.

Darüber hinaus haben sich die Erziehenden der Kinder verpflichtet, dass ihre Kinder die Schule besuchen können und keinen schädlichen kulturellen Praktiken ausgesetzt werden. Wenn die Kinder grösser werden, plant das Zentrum ein alternatives, auf die Bibel gestütztes Übergangsritual von der Kindheit zum Erwachsensein.

 


Damaris ist eines der Mädchen im Compassion-Programm, deren Familie sich verpflichtet hat, sie vor Kinderehe und FGM zu schützen.

"Der Schlüssel zur Lösung dieses Problems liegt in der Aufklärung", sagt Florence. „Wir glauben, dass die Zahl der Kinder, die von Genitalverstümmelung und Kinderehe betroffen sind, deutlich sinken wird.“

 

Es verändert sich also etwas in Chimolignot. In einigen Fällen hat sich die Zahl der Einschulungen von Mädchen verdoppelt oder sogar verdreifacht. Aber es gibt immer noch viel zu tun, und Florence wird weiterkämpfen. Sie weiß, dass die nächste Generation von Frauen ihre mutige Stimme braucht.

Danke, dass du dich mit Frauen wie Florence zusammen für Kinderrechte einsetzt!

Werde heute noch Pate oder Patin eines Kindes, damit es seine Rechte erhält!