Thailand: Mit Fussball gegen Kindesmissbrauch

27. Januar 2017

Es sind auffällig viele kleine Jungen, die stundenlang die grossen Flachbildschirme in einer der Spielhallen umlagern, die auch in Kampang Ngam allgegenwärtig sind, einem Slum der Grossstadt Chiangmai im Norden Thailands.

Die Computerspiele in den hell erleuchteten, klimatisierten Hallen sind eine aufregende Ablenkung vom ärmlichen, beengten Zuhause der Jungen. Doch nicht nur, dass man zu fast jeder Tag- und Nachtzeit die manchmal erst sechsjährigen Kinder an Orten wie diesen antrifft, wo sie ihr geringes Taschengeld verspielen: die kaum beaufsichtigten Hallen dienen auch Menschenfängern dazu, die Jungen in die Prostitution zu locken.

„Die älteren Jungen werben die jüngeren in diesen Spielhallen an. Sie werden alle von ausländischen Touristen bezahlt. Die Ausländer nehmen die Jungen dann mit in ein nahegelegenes Hotel.“ Wanchai Wankasamsan kennt das traurige Thema nur zu gut. Als Direktor des Compassion-Kinderzentrums der Acts of Grace-Gemeinde arbeitet er seit über fünf Jahren mit den Familien aus diesem Slum zusammen. „Das Problem beginnt zuhause“, sagt der Direktor und seufzt.

„Manchmal bleiben sie für Tage fort“

„Ihre Eltern arbeiten in den Nachtmärkten“, erklärt Wanchai die Ursache: Märkte unter freiem Himmel, auf denen die Eltern, gekleidet in traditionellen Gewändern, vor allem den Touristen bis tief in die Nacht hinein ihre Waren anbieten, von lokalen Handarbeiten bis zu billigem Plastikspielzeug. „Die Eltern haben keine Zeit, um nachts auf ihre Kinder aufzupassen. Die Kinder laufen dann zu den Spielhallen. Manchmal bleiben sie für Tage dort.“ Vom Taschengeld, das ihnen die Eltern eigentlich für das Schulessen gegeben hatten, wird nur ein Teil für billiges Essen ausgegeben. Der Rest wandert in die Spielcomputer. Den Eltern ist die Gefahr oft nicht wirklich bewusst, weil die meisten von ihnen kaum Bildung haben. „Machmal denken sie vielleicht: Wenigstens lernt mein Junge mit einem Computer umzugehen und hat eine Begabung. Doch stattdessen machen die Spiele sie süchtig oder sie schauen sich online Dinge an, die nicht jugendfrei sind.“ Wenn sie dann erfahren, dass ihre Kinder in der Prostitution gelandet sind, fallen sie aus allen Wolken.

Wanchai erzählt von einer Gruppe von Schuljungen aus dem Slum, die im letzten Jahr Wertsachen aus ihrer Schule gestohlen hatten, um ihre Spielsucht zu finanzieren. Sie standen kurz vor dem Schulabschluss. Als sie aufflogen, wurden sie der Schule verwiesen, ohne Aussicht darauf, auf einer anderen Schule ihren Abschluss nachmachen zu können. Wanchai hatte versucht, ihnen zu helfen. Doch nur zwei der Jungen nahmen seine Hilfe an und wurden von einer Schule weiter entfernt akzeptiert. Die beiden anderen wählten die Prostitution. Die Aussicht auf das schnelle Geld und der damit verbundene Lebensstil erschienen ihnen verlockender.
Kinder und Jugendliche wie diese würden kaum von Sonntagsschulen und Jugendgruppen angesprochen. 2013 versuchte die Gemeinde deshalb etwas Neues: Fussball – offen für alle Jungen im Slum. „Zuerst waren die Jungs sehr zurückhaltend“, erinnert sich Wanchai. „Wir fingen mit nur zehn Kindern an, die bereits zur Gemeinde kamen und nur einem Jungen aus dem Slum.“ Doch schnell wurden es mehr. Offensichtlich hatte die Acts of Grace-Gemeinde die richtige Tür geöffnet.

Spielen – und lernen fürs Leben

Doch je mehr Jungen kamen, desto teurer wurde das Ganze: Sie brauchten Trikots, Schuhe, ein Sportplatz musste gemietet werden. An dieser Stelle sprang Compassion ein. Neben der Sportausrüstung für die Kinder konnte nun auch ein Vollzeittrainer für das Programm eingestellt werden. „Wir waren jetzt in der Lage, dreissig Kinder zu erreichen“, erzählt Wanchai begeistert. Heute besuchen die meisten kleinen Jungen im Slum das Fussballprojekt. Dort finden sie nicht nur eine Alternative zu den Spielhallen, sondern lernen Dinge fürs Leben, die über den Umgang mit dem Ball hinausgehen. Viele der Jungen finden hier auch gesunde männliche Vorbilder, während sie von ihren Vätern zuhause oft Gewalt erfahren. Cheftrainer Phithack und seine ehrenamtlichen Co-Trainer gehen nicht nur in die Gemeinde, sondern vermitteln den Jungen ihr Können mit viel Herz. Manchmal lässt Phithack sie auf dem modernen Gelände eines Klubs trainieren. Er leitet sie mit Humor, verlangt aber auch Disziplin. Und die Jungen ziehen mit.

„Einige Eltern haben mir erzählt, dass ihre Kinder früher, wenn sie zur Arbeit mussten, die ganze Nacht weggeblieben sind“, sagt Wanchai. „Heute schlafen sie, weil sie müde vom Training sind - also bleiben sie zuhause. Am Morgen sind sie dann ausgeruht für die Schule.“ Die Gemeinde möchte nun auch für die Mädchen etwas Vergleichbares anbieten: Volleyball.
Nicht einer der Jungen im Programm hat sich bis heute von den Zuhältern locken lassen. Tatsächlich hat Wanchai sie in diesem Jahr nicht mehr im Slum gesehen. „Scheinbar sind die Jungs zu sehr mit Fussball beschäftigt.“

Jonathan L. Suwaratana, Compassion Thailand